Wiener Walzer wäre wohl ein Klacks dagegen

von Sascha Jänicke
Viel Gutes hörte man im Vorfeld von Wien und seinem Marathon. Die Vorschusslorbeeren waren prall, die Erwartungen und Freude somit ebenfalls. Die Vorbereitung war bei fast allen bemerkenswert, auch die Wetterprognosen spielten mit, doch am Ende kam alles etwas anders.
Am 12.04.14 (Sonnabend) starteten Daniel, Sandra, Sascha und Freundin Helena schon um fünf Uhr in der Früh über Hamburg zum Marathon nach Wien.
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Daniel, Sandra, Helena, Sascha
In Hamburg schlossen sich noch Dominik und Carola an, alte Bekannte von Daniel. Dominik hatte sich ebenfalls den Marathon vorgenommen. Carola und Helena waren als mentale Stützen eingeplant. Gleich nach der Ankunft in Wien ging es zur Marathonmesse, die Startunterlagen sichern und Marathonluft schnuppern. Schon auf dem Weg wurde die erste Spezialität der Region entdeckt und mußte auch gleich probiert werden, Käsekrainer im Brot. Der Marathon stand zwar noch bevor und somit war Genussverbot, aber eine kleine Schweinerei musste einfach sein. Die Messe, am Prater gelegen, war gut organisiert, wie man es von einem Marathon der Goldkatagorie erwartet. Alles ging zügig und problemlos. Der sonnige Tag lockte uns daher schnell wieder ans Tageslicht, Wien wollte von uns entdeckt werden. Vor der Messe trafen wir noch zufällig auf Felix (nicht das einzige Mal), der sich kurzfristig für den Marathon gemeldet hat und mit der Familie angereist war. Im Gegensatz zu uns genoss er bereits ein paar Tage die Stadt und war entsprechend relaxed. Also ließen wir Ihn in seiner Ruhe die Messehallen durchstöbern und machten uns aus logistischen Gründen zuerst zum vermeintlich ersten Highlight der Stadt, dem Wiener Prater. Laut jedem Reiseführer und Wienreiesenden ein Muss. Dort erlebten wir, oder zumindest ich, die erste Enttäuschung. Ich hätte mir mehr Detailtreue erwünscht, mehr Nostalgie, mehr Patina. Teilweise war es ein alter Rummel mit Charme, aber leider gemixt mit neuem Schwachsinn, der so gar nicht ins Bild passen will. Das eigentliche Bild konnte man leider nur noch erahnen. Aber wir wollten uns vom Prater nicht den Tag vermiesen lassen. Dies ist einen Tag vor dem Marathon auch sehr schwer, die Euphorie und Nervosität lassen das gar nicht zu. Nach Messe und Prater sollte das nächste Ziel die Wiener Gelassenheit sein. Dies schien uns ein guter Plan für den heutigen Tag, morgen würde es schon aufregend genug. Also ab ins Café und einfach genießen. Das ging schon ganz gut, aber irgendwann schreckten uns dann doch die Hummeln im Mors hoch. Noch eben schnell zum Zielbereich des morgigen Marathons, es muss doch ganz in der Nähe sein. Vor lauter Sightseeing vergaßen wir fast das Carboloading, spontan und schnellstmöglich mußte was geeignetes zu Essen gefunden werden. Dies ging uns natürlich nicht fix genug, also konsultierten wir kurzer Hand einen Polizeibeamten, der guckte uns eher verdutzt und vielleicht etwas verachtend, zumindest beleidigt an. Er verstand die Frage wohl nicht ganz, einzige Antwort: Überall! Eine Selbstverständlichkeit, das macht Wien schließlich aus. Nach ein paar hektischen Minuten, weil jetzt echt mal was zu Essen her musste, fanden wir sogar einen guten Italiener mit Abendsonne. Das Essen war recht lecker, aber die Portionen zum Leidwesen der langen Norddeutschen nicht gerade üppig. Geschafft vom dann doch stressigen, langen Tag und von den vielen Kilometern zu Fuß ging es schon um neun Uhr ins Bett, schließlich sollte der Wecker um halb sechs schon wieder die Nacht beenden. Die Kilometer des Vortages wurden uns am Sonntag wider Erwarten nicht auf die 42km gutgeschrieben. Aufgrund des eher langsamen Durchschnitttempos vielleicht auch besser so.
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Käsekrainer im Brot
Am Marathontag haben wir uns zeitig übers Buffet hergemacht, doch die besten Sachen durften wir ja leider nicht genießen. Das englische Frühstück wurde uns verwehrt und sollte bis zum nächsten Tag auf uns warten. Wir konnten nicht ahnen, dass es anders kommen würde. Gut und gesund genährt und besten Mutes ging es zum Start, dem größten Teilnehmerfeld der Wiener Marathongeschichte. Über 23.000 Läufer fanden sich im Startbereich ein. Neben dem Marathon gab es auch noch einen Staffelmarathon und einen Halbmarathon, alles wild gemischt, was man auf der Stecke leider merkte. Diese Tatsache kostete anfangs enorm viel Kraft, erstens weil man sich erst in die richtige Position laufen und dabei viele Umwege gehen musste. Zweitens ging es gleich eine langgezogene Brücke hoch. Bis Kilometer 10 kam ich persönlich nicht richtig in Fahrt und fand absolut nicht in meine Spur. Am Anfang beim Trinken verschluckt, dann ging das Schuhband (Anfängerfehler) auf, die angepeilte Kilometerzeit wurde stets unterschritten und dann rannten einem immer wieder depperte Typen vor die Füß. Das Wetter war hingegen wie gemacht für einen großen Lauf, 13-15 Grad und leicht bedeckt. Der Wind war aber nicht ganz ohne, was man erst später auf der Strecke zu spüren bekam, auch wenn wir im Vergleich zu den folgenden Tagen viel Glück hatten. Ich dachte in Österreich kennen sie keinen Wind, aber da habe ich mich schwer geirrt. Aber zurück auf die Strecke. Hier ging es die ersten 16 km bergauf, langsam aber stetig, später leider gefühlt nur abrupt bergab, so konnte man nicht viel Nutzen aus der vorherigen Arbeit ziehen. Zudem wehte der Wind einem immer öfter kalt entgegen, so dass man trotz großer Anstrengung immer wieder leicht fröstelte. Die Lösung schneller zu laufen war leider keine adäquate, da ja schon zu schnell unterwegs. Bei km 21 bestand die Möglichkeit, rechts abzubiegen und den Lauf als HM abzuschließen. Ein Angebot des Veranstalters. Verlockend, aber dafür war die Zeit dann doch nicht attraktiv genug, auch wenn schon recht gut. Also weiter quälen und gucken wo die Grenzen an diesem Tag sind. Gefühlt waren sie bereits bei km 18 erreicht, aber spätestens bei km 31 überschritten. Hier kamen negative psychische Effekte ins Spiel und vordere Läufer entgegen. An der Stelle wo ich erst bei km 31 war, waren schon einige Hundert bei km 36. Also den ganzen Weg den ich jetzt laufe muss ich auch wieder zurück und alles immer nur gegen den Wind, nie Rückenwind für mich ;). BeimVFL-Straßenlauf motiviert es einen vielleicht noch wenn man den Vereinskammeraden entgegen kommt, aber von denen war hier auch nichts zu sehen. Selbst Felix oder andere Oldenburger, die man die Tage und beim Start traf waren nicht zur Unterstützung zugegen. Ich gegen mich ganz allein, das ist Marathon wie man ihn will, oder in dem Moment auch nicht. Von km zu km versuchte ich mich selbst zu motivieren, mal mehr mal minder erfolgreich. Habe immer wieder gebissen, mich konzentriert, auf die Haltung geachtet, an nichts gedacht, an km 39 gedacht (wo Helena stehen sollte), an das Ziel gedacht, was man noch mit passabler Zeit erreichen wird, an das Finisherbier gedacht und sich gewundert, dass man sich gestern Abend mehr darauf freute, dann wieder lange Zeit nichts gedacht und den Schmerz unerbittlich wahrgenommen. Bis endlich das ersehnte Schild mit der 39 vor einem erschien, doch wo war Helena. Sie stand zwar dort, wo zuvor vereinbart, doch leider war der Punkt nicht exakt bei km 39, sondern 400m weiter um die Ecke. Ich sackte in mich zusammen und konnte nicht mehr gehen. Plötzlich merkte ich die Schmerzen in den Knien, unter den Füßen und im Bauch. Trotzdem versuchen langsam weiter zu gehen und langsam ins Ziel schleppen. Die vorherigen 5 km vom 4:35er Schnitt auf 5:07er zurückgefallen, doch nun war ein 8er-Schnitt angesagt. Als ich meine Freundin sah, oder eher sie mich, mischten sich Freude und ? (was komisches) miteinander. Erstmal schön rumgemault, warum Sie nicht bei km 39 war sondern 400m weiter. Soviel Kraft war dann doch noch da, dafür hat er sensible Marathonläufer dann noch Energie. Zum Glück zeigte sie sich nachsichtig und stärkte mich mit einem Gel, einem Kuss und aufmunternden Worten. Mein störrischer Ausruf „Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr laufen“ wurden in dem Moment gar nicht wahrgenommen. Also zurück auf die große Bühne des kleinen Läufers und weiter Richtung Ziel. Als ich den Walzer hörte wusste ich, dass ich es schaffen würde. Bei 3:16:24 blieb die Uhr für mich stehen.
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Kurz auch noch zu den anderen Topleistungen. Daniel, der immer eine halbe Stunde vor mir lag, lief auch ein hartes Rennen gegen sich selbst und verlor auf der zweiten Hälfte der Strecke, die an sich etwas leichter sein sollte als die ersten 21 km auch ein wenig, aber deutlich weniger als ich. Wie waren da in bester Gesellschaft, fast allen Top 30-Läufer der Frauen und Männer ging es ähnlich. Schlussendlich lief Daniel als schnellster Oldenburger mit einem neuen Vereinsrekord und persönlicher Bestzeit in 2:46:19 h ins Ziel. Locker und leicht lief hingegen Sandra ihren zweiten Marathon in persönlicher Bestzeit (03:45:15). Gut gelaunt ging es über die Ziellinie, ohne die letzten Reserven nutzen zu müssen. Souverän lief sie beide Teile der Strecke in gleichem Tempo durch. Sie hätte vielleicht sogar auf der zweiten Hälfte zulegen können, aber man muss ja noch erreichbare Ziele für die Zukunft haben. Es sollte nicht der letzte Marathon für sie sein. Locker und erstaunlich gut lief es auch für Felix, dessen Vorbereitung hingegen wieder einmal nicht idealtypisch verlief. Im Nachhinein traten dann doch muskuläre Probleme auf. Der rechte Oberschenkel ist zum Laufen nicht mehr zu gebrauchen. Wir sind gespannt wie er das kompensiert. Für ihn steht ja Ende Mai der Edinburgh Marathon auf dem Plan, aber auch den wird er schon schaffen.
Zurück zum aktuellen Geschehen, nach dem Zieleinlauf waren meine ausführlich beschriebenen Schmerzen dann schnell wieder verschwunden und die Freude überwog um Längen. Sie wurde aufgrund der weiten Wege zu den Wechselsachen und Duschen etwas gemindert. Daniel traf ich schon mit bläulichen Lippen an, obwohl schon heiß geduscht, aber der Präsentationsanzug konnte dem kalte Wind kaum mehr trotzen als die Plastikoveralls die man im Ziel übergeworfen bekam.Nachdem die Schmerzen verschwunden waren, wurde die Freude auf Schnitzel und Bier wiederentdeckt. Nun war die Zeit für die leckeren Schweinereien, man hat es sich ja verdient. Somit klang der Abend auch nicht in der heißen Wanne, sonder im Bermuda-Bräu aus. Dort gehen nicht nur regelmäßig Flugzeuge (im Bauch) verloren, sondern auch letzten Schmerzchen des Laufs. Leider sollten Sie am nächsten Morgen ersetzt werden, nicht die Flugzeuge, der Bereich stimmte hingegen schon. Das war dann auch der Grund, warum das Frühstück nicht seinen gewünschten Reiz auslöste. Aber wer Marathon laufen kann, der kann auch nach einer verdienten Feier und Katerstimmung den Rest Wiens entdecken. Die Frische Luft wirkt Wunder. Auf den Marathon folgten Tage voller Sightseeing. Sturmböen und einige Schauer trübten das Bild und die Stimmung zwar leicht, aber das Wetter ist für uns ja nichts Ungekanntes. Die guten Wetterprognosen wurden nicht ganz eingehalten. Selbst Bratislava konnte so seine volle Schönheit nicht ganz offenbaren. Aber Apropos baren, die Bars in Bratislava hatten offen, eine gute und beliebte Alternative zum „im Regen (und gefühlten 5Grad) alte Mauern anschauen.“
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Bratislava/Pressburg - Blick von der Burg über die Altstadt
Alles in allem war die Reisesehr schön, auch wenn der Marathon eine größere Herausforderung als gedacht und vor allem mit mehr Kampf begangen werden mußte als erwartet. Wien hat aufgrund der Hohen Erwartungen teilweise (z.B. Prater und Naschmarkt) enttäuscht, aber insgesamt war es top. Resümee: eine Reise wert, auch in Verbindung mit Bratislava. Da wir neben dem Opernbesuch auch die meisten Touriorte aufgesucht haben, können wir beim nächsten Besuch Wiens wunderschöne Umgebung, die Berge, die Heurigen erkunden. Dieses Mal hätte es aufgrund des Wetters sicherlich auch nicht so viel Spaß gemacht.

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